JAHRGANG 1912 DER SÄEMANN :* AUGUST
MONATSCHRIFT FÜR JUGENDBILDUNG UND JUGENDKUNDE
ZUM IV. INTERNATIONALEN KONGRESS FÜR KUNST-
UNTERRICHT, ZEICHNEN UND ANGEWANDTE KUNST
Vom 12.18. August wird in Dresden der Kongreß der Zeichenlehrer
tagen, eine internationale Vereinigung, die auch Fragen des KunsStunterrichts
und der angewandten Kunst beraten will. Zeichenlehrer der führenden
Nationen werden hier Forderungen ihres Standes und Aufgaben ihres Be-
rufes erörtern, ihre Lehrerfahrungen austauschen und Arbeiten ihrer Schü-
ler in einer öffentlichen Ausstellung zur Beurteilung darbieten.
Es ist nicht lange her, daß der Zeichenlehrer wie der Gegang-, der
Turn- und der Schreiblehrer für eine bloß „technische“ Lehrkraft genom-
men und das Seinem Berufe Zzugewiesene Lehrgebiet als ein techniSches
Fach bewertet wurde, das in der Reihenfolge der Lehrfächer fast zuletzt
Stehen mußte. Seine Vorbildung ließ ihn nicht oder doch nur Selten gegen
Seine gelehrten AmtsgenosSsen aufkommen. So blieb Sein Beruf wie Seine
Arbeit iSoliert und ohne geistigen Bezug zu der überlieferten Organi-
Sation der höheren Schulbildung. Die Leistungen im Zeichnen wurden
dem Schüler bei Prüfungen nicht zugerechnet.
Diese Beschränktheit und Enge Seines Berufes Stand im umgekehrten
Verhältnis zu der Größe und Bedeutung der Aufgabe, die dem Zeichen-
lehrer als dem Vertreter der Kunst in der wisSenSchaftlich orientierten hö-
heren Schule gestellt wurde. Jahrzehntelanger Arbeit hatte es bedurft, um
dem Zeichenunterricht im Lehrplane der Schulen einen Schmalen Platz zu
erobern. Kein Wunder, daß die Zeichenlehrer als Vertreter eines „neuen“
Faches durch weitverzweigte, mannigfaltige OrganiSationen, durch zahl-
reiche Fachzeitschriften und eine reichhaltige Fachliteratur, durch Versamm-
lungen und Ausstellungen von Schülerzeichnungen unausgegSetzt bemüht
bleiben mußten, ihrem Berufe den Einfluß und ihrem Stande die Soziale
Wertung zu erwirken, die der ihnen übertragenen Aufgabe entsprach.
Denn die Bedeutung dieser Berufsaufgabe wurde zuerst nur von Weiter-
blickenden erkannt, die zumeist außerhalb des Bereiches der Schule wirk-
ten. Die wisSSenschaftlichen Berufe, für die die höhere Schule die Vorbildung
vermitteln Sollte, Standen den Dingen, die der Zeichenlehrer betreibt, fremd
gegenüber. Sie, die die Welt mit „Begriffen“ meistern, mußten einem
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