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I. Abteilung. Abhandlungen.
b) Durch die Ansammlung des Kapitals gewinnen im besondern auch die
Börse und Banken eine große Bedeutung für die materielle Kultur. An
der Börse, diesem modernen Judentempel, kommen die Vertreter des Kapitalismus
regelmäßig zusammen, um hier die „Weltpreise", d. h. die Preise der Waren
und Aktien für den Geldmarkt der ganzen Welt festzusetzen. So sind Groß
industrielle, Großhändler und Bankiers 'die Träger des
fünften, weltbeherrschenden Kulturfaktors, des Kapitals
geworden. Mit ihnen ist neben den Adel von Geburt eine Aristokratie des
Geldes getreten, die wie jene eifrig bestrebt ist, maßgebenden Einfluß auf das
Staatsleben zu gewinnen. Nicht wenige dieser „Fabrikkönige" sind schon geadelt
und hoffähig geworden?)
Dem modernen Wirtschaftsleben ist durch den herrschenden industriellen und
händlerischen Erwerbsgeist das Zeichen des wirtschaftlichen Interessen -
Kampfes, des „Kampfes ums Dasein" aufgedrückt, in dem eine brutale
Rücksichtslosigkeit das Regiment führt. Tausende und Abertausende zerreiben in
diesem Wettbewerb alle ihre Kräfte und ringen vergeblich um ihre Existenz;
denn ohne die Hilfe des Kapitals gehen die meisten von ihnen ihrem sicheren
wirtschaftlichen Untergang entgegen, zertreten von der Allgewalt des Kapitalismus.
Schluß: Diese Zustände des modernen Wirtschaftslebens
haben dem neu aufgestiegenen 20. Jahrhundert eine neue, sehr schwierige Kultur
aufgabe gestellt, die unsers Erachtens darin besteht, einen Ausgleich zu schaffen
zwischen dem riesenhaften Anwachsen des Kapitals auf der einen und dem all
mählichen Verschwinden eines selbständigen, gutsituierten Bürgertums auf der
andern Seite; sodann aber gleichzeitig darin, das Leben des sog. 4. Standes
menschenwürdig zu gestalten. In dem Maße, als unserm neuen Jahrhundert
die Lösung dieses Problems gelingt, in demselben Maße werden seine Verdienste
um den Fortschritt der materiellen Kultur und die Wohlfahrt des gesamten Volkes
von den nachfolgenden Geschlechtern gepriesen werden.
0 Im schärfsten Gegensatz zu diesen Geldkönigen steht die große Masse von
„Arbeitern", die als 4. Stand sich selbst als die „Lastträger der Gesellschaft" be
zeichnen. Aber auch diese Masse hat sich organisiert und ist in der Sozialdemokratie zu
einer politischen Macht geworden, die die Besorgnis aller ernsten Patrioten erweckt. —
Zwischen den „Reichen" und „Armen" besteht als 3. Volksschicht der Mittelstand:
Handwerker, Kleinfabrikanten, Kleinhändler, Bauern und das Heer von Beamten. Für
diesen Stand aber besteht die Gefahr, durch die Allgewalt des Großkapitals in das
„soziale Elend der Masse, des Proletariats", hinabgedrückt zu werden. — Was privatim
und staatlicherseits schon geschehen ist, um die Lage „der wirtschaftlich Schwachen" durch
Versicherungen bei Unfall, Krankheit und im Alter — zu verbessern und den Ackerbau
durch Schutzzölle gegen Überflutung von außen her zu sichern — kann hier nicht er
örtert werden.
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