Full text: Evangelisches Schulblatt - 51.1907 (51)

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I. Abteilung. Abhandlungen. 
b) Durch die Ansammlung des Kapitals gewinnen im besondern auch die 
Börse und Banken eine große Bedeutung für die materielle Kultur. An 
der Börse, diesem modernen Judentempel, kommen die Vertreter des Kapitalismus 
regelmäßig zusammen, um hier die „Weltpreise", d. h. die Preise der Waren 
und Aktien für den Geldmarkt der ganzen Welt festzusetzen. So sind Groß 
industrielle, Großhändler und Bankiers 'die Träger des 
fünften, weltbeherrschenden Kulturfaktors, des Kapitals 
geworden. Mit ihnen ist neben den Adel von Geburt eine Aristokratie des 
Geldes getreten, die wie jene eifrig bestrebt ist, maßgebenden Einfluß auf das 
Staatsleben zu gewinnen. Nicht wenige dieser „Fabrikkönige" sind schon geadelt 
und hoffähig geworden?) 
Dem modernen Wirtschaftsleben ist durch den herrschenden industriellen und 
händlerischen Erwerbsgeist das Zeichen des wirtschaftlichen Interessen - 
Kampfes, des „Kampfes ums Dasein" aufgedrückt, in dem eine brutale 
Rücksichtslosigkeit das Regiment führt. Tausende und Abertausende zerreiben in 
diesem Wettbewerb alle ihre Kräfte und ringen vergeblich um ihre Existenz; 
denn ohne die Hilfe des Kapitals gehen die meisten von ihnen ihrem sicheren 
wirtschaftlichen Untergang entgegen, zertreten von der Allgewalt des Kapitalismus. 
Schluß: Diese Zustände des modernen Wirtschaftslebens 
haben dem neu aufgestiegenen 20. Jahrhundert eine neue, sehr schwierige Kultur 
aufgabe gestellt, die unsers Erachtens darin besteht, einen Ausgleich zu schaffen 
zwischen dem riesenhaften Anwachsen des Kapitals auf der einen und dem all 
mählichen Verschwinden eines selbständigen, gutsituierten Bürgertums auf der 
andern Seite; sodann aber gleichzeitig darin, das Leben des sog. 4. Standes 
menschenwürdig zu gestalten. In dem Maße, als unserm neuen Jahrhundert 
die Lösung dieses Problems gelingt, in demselben Maße werden seine Verdienste 
um den Fortschritt der materiellen Kultur und die Wohlfahrt des gesamten Volkes 
von den nachfolgenden Geschlechtern gepriesen werden. 
0 Im schärfsten Gegensatz zu diesen Geldkönigen steht die große Masse von 
„Arbeitern", die als 4. Stand sich selbst als die „Lastträger der Gesellschaft" be 
zeichnen. Aber auch diese Masse hat sich organisiert und ist in der Sozialdemokratie zu 
einer politischen Macht geworden, die die Besorgnis aller ernsten Patrioten erweckt. — 
Zwischen den „Reichen" und „Armen" besteht als 3. Volksschicht der Mittelstand: 
Handwerker, Kleinfabrikanten, Kleinhändler, Bauern und das Heer von Beamten. Für 
diesen Stand aber besteht die Gefahr, durch die Allgewalt des Großkapitals in das 
„soziale Elend der Masse, des Proletariats", hinabgedrückt zu werden. — Was privatim 
und staatlicherseits schon geschehen ist, um die Lage „der wirtschaftlich Schwachen" durch 
Versicherungen bei Unfall, Krankheit und im Alter — zu verbessern und den Ackerbau 
durch Schutzzölle gegen Überflutung von außen her zu sichern — kann hier nicht er 
örtert werden. 
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